Wie Pilze aus dem Boden...

Nein, es liegt nicht am Herbst, dass nun wieder die Baugebiete sprießen. Unbeliebte Entscheidungen werden nicht vor der Wahl, sondern nach der Wahl getroffen! So wurde auch diesmal darauf geachtet, die überwiegend konservativen WählerInnen im Kanzlerfeld nicht unnötig vor der Wahl zu verprellen.
Jetzt ist es also Thema: Weitere 28 Baugebiete werden das Stadtgebiet verdichten, versiegeln und verschandeln. Da ist das Kanzlerfeld bei weitem nicht alleine betroffen, der Protest ist hier aber momentan am größten: Honis soit qui mal y pense.

Städtische Interessen zum einen, Privatinteressen zum anderen: das Problem ist ein grundsätzliches.

Die Landschaft wird weiter mit unschönen Einfamilienhäusern von der Stange überzogen, deren Anordnung meist keine erkennbare städtebauliche Absicht verfolgt. Zersiedelung und Versiegelung der Landschaft ist nur eine Folge. Neubaugebiete werden heute überwiegend von Bauträgergesellschaften vermarktet. Dabei spielt vollem die Masse eine Rolle, weniger die Klasse: es handelt sich um Gebäude mit geringer Lebensdauer. Wie werden diese Siedlungen in 40-60 Jahren aussehen, welche Bedeutung hat dies langfristig für das Stadtbild und die soziale Struktur? Einfamilienhäuser sind zudem aus energetischer Sicht nicht sinnvoll: Durch die große Oberfläche der freistehenden Gebäude geht viel Wärmeenergie verloren. Ein wichtiger Aspekt sind die sozialen Auswirkungen von Einfamilienhaussiedlungen wie Isolation, starre Rollenverteilung in Familien, Mangel an kulturellen Einrichtungen, Cocooning, Finanzdruck bei Schwellenhaushalten, Burn-out bei Selbstbauern etc..

Der demographische Wandel hat eine schrumpfende Stadt zur Folge, künftige Leerstände sind vorprogrammiert. Die Bevölkerungsentwicklung in Braunschweig ist bis 2030 als rückläufig prognostiziert. Dazu gibt es das Forschungsvorhaben Stadt-um-land 2030 des Zweckverbandes Großraum Braunschweig und Koris (Kommunikative Stadt- und Regionalentwicklung, Hannover) In der Zusammenfassung des Projektes Stadt-um-land 2030 ist Folgendes zu lesen:

"Die Ausbreitung gesichtsloser Siedlungsgebiete, deren eigenständige Identität häufig fehlt, prägt heute zu weiten Teilen den Gesamteindruck der Region. Insbesondere im Umland der Städte Braunschweig, Salzgitter, Peine, Gifhorn, Wolfsburg und Wolfenbüttel ist die anhaltende Zersiedlung der Landschaft Hauptursache für die Zunahme des MIV (Motorisierter Individualverkehr). Die Besonderheit dörflicher Strukturen ging vielerorts auch im ländlichen Raum verloren. Die ortsansässige Nahversorgung konnte zudem der Konkurrenz neuer, autogerechter Einkaufszentren häufig nicht standhalten, so dass sie heute in vielen kleinen Orten gänzlich fehlt.
Soziale, baulich-räumliche und funktionsräumliche Konsequenzen
Die traditionellen raumstrukturellen Phänomene Stadt, Land, Umland sind aufgrund der Sub- und Desurbanisierung heute nicht mehr klar ablesbar. Es haben sich neue Siedlungszusammenhänge ergeben, die mit den administrativen Grenzen kaum noch übereinstimmen und typologisch eine ganze Bandbreite an Phänomenen zwischen Stadt und Land umfassen."

aus: www.zgb.de/barrierefrei/misc/downloads/Stadt2030_H8.pdf

"Haben...sich ergeben." (Hervorhebung der Autorin) Planlosigkeit, Zufälligkeit, Willkür. Offensichtlich gängige Praxis. Keine Fachkompetenz in Sachen Stadtplanung? Das ist nichts Unbekanntes. Andere Beweggründe sind Hauptursache für diese Planung.
Tatsache ist laut IES: "Die Nachfrage wird zunehmend durch individuelle Wohnbedürfnisse und steigende Qualitätsansprüche geprägt."

aus: http://www.ies.uni-hannover.de/Wohnungsm_rkte_regio.86.0.html

D.h. die Leute wollen Einfamilienhäuser, also wird weiter geplant, obwohl die Prognosen bis 2030 einen deutlichen Bevölkerungsschwund voraussagen. Es besteht keine Wohnungsnot bzw. Wohnraumbedarf sondern ein Wohntypbedarf, der von den Politikern und Geschäftemachern (in Personalunion?) gerne bedient wird.

Wir müssen uns bei all dem auch fragen: Wer zieht Profite aus dieser Politik, wer macht diese Politik? Profitieren werden davon vor allem einflussreiche, grundbesitzende Bauern und Bauträgergesellschaften, deren Lobbyarbeit reiche Früchte trägt.
Offiziell sollen Steuerzahler innerhalb der Gebietsgrenzen gehalten werden, diese „noble“ Absicht wird vorgeschoben.

Weiterführende Links:

http://www.sonntagsblatt.de/artikel/1999/20/20-s5.htm
http://www.zeit.de/2003/49/Deutschland_2fWohnen_49?page=1
http://www.taz.de/pt/2005/11/04/a0137.1/text

Buchtipp:

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Der Einzige und sein Eigenheim. Von Pierre Bourdieu.