Sagt mir, wo die Bienen sind - Teil 3

Vor mehr als einem Monat erschienen auf „unser-braunschweig“ zwei Artikel, die sich mit dem Bienensterben auseinandersetzten (Teil 1 und Teil 2). Aus aktuellem Anlass, nämlich der gestrigen Demonstration von mehr als Hundert Imkern vor dem Braunschweiger Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, die sich gegen eine Wiederaufnahme der Zulassung des Beizmittels PONCHO mit dem umstrittenen Wirkstoff Chlothianidin der Bayer-Tochter CropScience als Maisschutzmittel wendete, befasst sich nun ein dritter Beitrag mit dem Bienensterben, dem allein am Oberrhein in diesem Frühjahr mehr als 330 Millionen Bienen im Frühjahr zum Opfer fielen.
Der in der gestrigen Demonstration zum Ausdruck gebrachte Zorn der Imker ist angesichts der Tatsache mehr als verständlich, dass ein erwiesenermaßen hochgiftiges Pflanzenschutzmittel nun wieder verwendet werden soll, obwohl es ja erst kürzlich vom gleichen Bundesamt, das die entscheidende Rolle bei der Wiederzulassung spielt, als verantwortlich für das massenhafte Bienensterben gemacht wurde (dpa-Meldung vom 16. Mai 2008).
Offensichtlich reicht der Lobbyismus von Bayer sehr weit und macht auch nicht vor wissenschaftlichen Institutionen Halt. Erschreckend ist dabei, dass sich Wissenschaftler, die sich sonst so gern gegen die Ausbeutung der Umwelt durch ökonomische Interessen wenden, in diesem Fall offensichtlich wegducken oder gar durch ihre berufliche Tätigkeit dem Lobbyismus noch Vorschub leisten.

“Moderne“ Landwirtschaftspolitik a la Bayer
Schon vor etlichen Jahren hatten Imker für das damals schon zu beobachtenden Phänomen des massenhaften Bienensterbens, das "Colony Collapse Disorder" (CCD) genannt wird, einen ganz anderen Schuldigen als die so gern von der Industrie als Schuldigen angeprangerte Varroa-Milbe ausgemacht: nämlich den Vorgänger des Bayer Beizmittels PONCHO“, dem ebenfalls von BAYER stammenden Saatgutbehandlungsmittel GAUCHO mit dem Wirkstoff Imidacloprid. „Der Hauptverdächtige ist nach Meinung vieler Wissenschaftler das am weitesten verbreitete Insektizid auf dem Planeten: Imidacloprid“, schrieb ebenso die US-amerikanische Zeitung Star-Ledger. Der höchsteigene Bestimmungszweck von Insektiziden, ist es nun einmal, Insekten zu töten. Deshalb führt der GAUCHO-Beipackzettel unter Risiken und Nebenwirkung auch das Attribut „bienengefährlich“ auf. Angesichts dieser Selbstanzeige muss die Frage erlaubt sein, warum ein derartiges Insektizid in Deutschland überhaupt zuglassen wurde.
BienenzüchterInnen laufen weltweit seit Jahren schon Sturm gegen BAYERs Pestizid. Am unerbittlichsten stritten französische Imker, die binnen zehn Jahren 90 Milliarden Bienen verloren hatten, wider den Leverkusener Multi. Und ihr Engagement hatte Erfolg: ab dem Jahr 1999 untersagte Frankreich die Ausbringung von GAUCHO auf Sonnenblumen- und Maisfeldern. In Deutschland wie in anderen Ländern wurde das Pestizid jedoch munter weiter auf den Feldern ausgebracht. Wie dies angesichts der Kontrolleure in den deutschen Bundesanstalten möglich ist, wirft Fragen nach der Unabhängigkeit dieser Einrichtungen auf.

Wie „moderne“ Landwirtschaftspolitik a la Bayer aussieht und wie eine daraus resultierende paradoxe Situation entsteht, nämlich die Flucht der Insekten aus der industrialisierten Landwirtschaft in den urbanen Raum, schildert Jan Pehrke in seinem Artikel über das globale Bienensterben (Jan Pehrke: „Das globale Bienensterben“. In : www.cbgnetwork.org) sehr anschaulich: „Trotz der erdrückenden Beweislast für eine Mitverantwortung von Gaucho für das Bienensterben - und dem hauseigenen Warnhinweis „bienengefährlich“ - streitet BAYER natürlich jegliche Schuld ab und verweist zur Entlastung auf entsprechende Tests. An der wissenschaftlichen Aussagekraft dieser Untersuchungen, die jüngst auch wieder zur Zulassung des GAUCHO in seiner Bienengefährlichkeit kaum nachstehenden Wirkstoffes Clothianidin (Handelsnamen: ELADO, PROSPER und PONCHO) führten, bestehen jedoch erhebliche Zweifel. Sie sind nämlich „made by BAYER“ und ignorieren die GAUCHO-kritische Fachliteratur konsequent. Zudem gehen die Studien nur den unmittelbar tödlichen Effekten der Mittel nach, ihre Langzeitwirkung ziehen sie nicht in Betracht. Und obwohl die EU-Direktive 91/414/EEC für Pestizide, die wie das BAYER-Produkt eine bestimmte Konzentration pro Hektar überschreiten, Versuche an Bienenlarven vorschreibt, erwirkte der Leverkusener Multi eine Ausnahmegenehmigung. Das gebeizte Saatgut komme ja nicht direkt mit den Insekten in Kontakt, argumentierte der Konzern. Diese Entfernung überbrückt das Mittel allerdings durch sein „Sitzfleisch“. Während die LandwirtInnen Ackergifte nämlich nur zu bestimmten Perioden versprühen, „verstrahlen“ Beizen die Ackerfrüchte während der ganzen Blütezeit. Nicht umsonst wiesen ForscherInnen denn auch GAUCHO-Spuren im Pollen und Nektar der Bienen nach. Aber trotz des Protestes von über 20 Umweltschutz- und Imkerorganisationen setzte EU ihre Direktive nicht wieder in Kraft.
Wie systematisch BAYER das Studien-Design im Fall von Clothianidin frisierte, um das gewünschte Ergebnis zu erhalten, hat der „Berufs- und Erwerbsimkerbund“ in einem Offenen Brief an das „Bundesamt für Verbraucherschutz“ dokumentiert. So hat der Konzern seine elf Feldversuche nicht ganz zufällig mit erst im Sommer erblühenden Kulturpflanzen wie Sonnenblumen und Mais durchgeführt. Wenn diese nämlich in voller Pracht stehen, dann haben die Bienen ihren Appetit längst an Winterraps und anderen Frühentwicklern gestillt und entsprechende Vorräte an Pollen und Nektar angelegt. Zudem haben die Insekten ihr Reservoir an unbelasteter Nahrung durch Ausflüge auf nicht zum Testgebiet gehörende Ackerflächen erhöht. Dies alles hielt die ELADO-Belastung in Grenzen und sorgte für wenig alarmierende Befunde bei den Rückstandsmessungen.
Todesfälle waren während des nur drei Wochen dauernden Versuches ebenfalls kaum zu beklagen: Auf dem vor dem Bienenstock ausgelegten weißen Tuch fanden sich nur wenige verendete Bienen. Das lag allerdings nicht an der Bekömmlichkeit von ELADO, sondern am Sozialverhalten der Insekten. Kranke Tiere verlassen nämlich zum Sterben ihren Stock, um ihr Volk keiner Ansteckungsgefahr auszusetzen. „Hierbei handelt es sich um imkerliches Grundwissen“ ereifert sich Manfred Hederer über die Leverkusener Verfahrenstechnik. Etwas „geirrt“ hat BAYER sich auch bei den Angaben zur Halbwertzeit von Clothianidin. Während der Konzern auf seiner Webpage 120 Tage angibt, zitiert Hederer mit 990 Tagen die weit höheren Zahlen der US-Umweltbehörde. Die Stadt New York konnte ihm zufolge nicht einmal eine Halbwertzeit ermitteln, da der Zahn der Zeit auch nach 25 Monaten noch kein bisschen an dem Mittel genagt hatte. „Die (schlechte) Qualität der Studien schürt den Verdacht, dass Clothianidin für unsere Bienen zu einer großen Gefahr werden wird“, lautet deshalb die Schlussfolgerung des Offenen Briefes, der zudem auf eine entsprechende Kritik der kanadischen Zulassungsbehörde an BAYER verweist. Als Konsequenz aus diesen Mängeln fordern die ImkerInnen, dem Mittel die Zulassung wieder zu entziehen, bis gesicherte Kenntnisse über seine Giftigkeit vorliegen.
Der Blick nach Frankreich zeigt, wie erfolgreich solche Maßnahmen sein können. Dort haben die Bienen nach den erlassenen Anwendungsbeschränkungen für GAUCHO zum ersten Mal nach 12 Jahren ihre Honigerträge gesteigert. … Durch die menschlichen Eingriffe im Zuge der industrialisierten Landwirtschaft geht es in der Natur also kaum mehr natürlich zu. In der Tat ist etwas sehr aus dem Gleichgewicht geraten, wenn Kulturpflanzen mit den Bienen ihre eigenen Lebensspender vernichten. Dieser paradoxalen Logik folgend, hat der französische Imkerverband UNAF vor zwei Jahren zu einem ungewöhnlichen Mittel gegriffen. Er startete mit einem Programm, die Tiere verstärkt in Städten anzusiedeln. Und wirklich scheint den Insekten ihr Exil in der pestizid-unbelasteten Zivilisation gut zu tun. Nach dem Willen der UNAF sollen jetzt alle europäischen Länder diesem Beispiel folgen.“
Die Wiederzulassung des Beizmittels PONCHO in Deutschland wirft ein bedenkliches Licht auf die Unabhängigkeit der in den deutschen Bundesanstalten arbeitenden und für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln verantwortlichen Wissenschaftler. Fühlen diese sich dem wirtschaftlichen Wohl eines Großkonzerns verpflichteter als dem Wohl der Umwelt oder nur ihrer eigenen Karriere?