"Selbsternennung" oder Probleme mit der Sprache und der Verfassung

In einer Newsletter der „Bürgerschaft Riddagshausen“ vom März 2008 wird bemerkt, dass „selbsternannte“ Naturschützer den Streit um die Fällung der Pappeln am Kreuzteich aufgeheizt hätten. Im Februar 2006 hatte die „Bürgerschaft“ einen prominenten Vorsprecher. Dr. Gert Hoffmann schrieb in einem offenen Brief von einer „selbsternannten“ Bürgerinitiative für den Erhalt öffentlichen Eigentums.

Damit soll den Bürgerinitiativen offenbar die Legitimität abgesprochen werden, sofern unstrittig ist, dass die Initiativen nicht von höherer Autorität „ernannt“ worden sind (so fehlt schon eine Ernennungsurkunde, mehr aber noch der Treueschwur auf eine Dienstherrschaft, wofür sich Bürgermeister und „Bürgerschaft“ sicher gern zur Verfügung stellen würden).

Dagegen garantiert das Grundgesetz mit Art. 9 die allgemeine Vereinigungsfreiheit, ohne dass das etwa erst durch eine Ernennungsurkunde erlaubt und legitimiert werden müsste. Der Artikel garantiert das

Recht zur organisierten bzw. gruppenförmigen Verwirklichung der (individuellen) Persönlichkeit und das prinzipielle Recht zur autonomen gesellschaftlichen Selbstorganisation.

so Rupert Scholz (in Maunz/Dürig, GG-Kommentar Art. 9, Rn 11), denn, Scholz weiter (Rn 68):

Dem Prinzip freiheitlicher Vereinigungsbildung entspricht der Grundsatz der privatautonomen Organisation bzw. freiheitlichen Selbstbestimmung der Vereinigung ...“

Indem die Möglichkeit „freier sozialer Gruppenbildung“ garantiert wird, grenzt sich die Grundordnung scharf von zwei anderen Staatsformen ab, vom

  • Feudalismus und vom
  • Totalitarismus,

von der„ständisch korporativen“ Ordnung des Feudalismus, sowie der

planmäßigen Formung und Organisation durch den Staat, nach den Maßstäben eines von der herrschenden Gruppe diktierten Wertsystems, wie sie den totalitären Staat der Gegenwart kennzeichnet. (Scholz, Rn 37)

Einigkeit herrscht jedenfalls bei den Grundgesetz-Kommentatoren darüber, dass Artikel 9 auch das Recht von Bürgerinitiativen zur freien Vereinigung schützt, ähnlich wie das Recht eingetragener Vereine. (zuletzt Christoph Kannengießer, in Schmidt-Bleibtreu u. a., GG-Kommentar, 11. Aufl. 2008, Rn 9; Hans D. Jarass, in Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, 9. Aufl. 2007, Rn 3; Wolfram Höfling in Sachs, GG-Kommentar, 4. Aufl. 2007, Rn 7 u. 15; ...)

Befremdlich ist allerdings, wenn ein eingetragener Verein wie die "Bürgerschaft Riddagshausen" sich „Bürgerschaft“ nennt, denn „Bürgerschaft“ ist die Bezeichnung für die gewählte Vertreterschaft freier Hansestädte, zugleich Landesparlament und Stadtrat, was einer Bürgerschaft die Dienstherrschaft einräumt über die Verwaltung. Als eingetragener Verein ist diese sogenannte „Bürgerschaft“ Riddagshausen dabei aber nicht mehr legitimiert, ihre Stimme für oder gegen eine Angelegenheit zu erheben, als eine Bürgerinitiative.

Noch befremdlicher ist, dass die „Bürgerschaft“ (Vorsitzender: Bürger Henning Borek) zugleich behauptet, das Fällen der Pappeln sei von „den Riddagshäuser Bürgern“ einvernehmlich mit Bezirksrat und Verwaltungsausschuss beschlossen worden. Eine Bürgerbefragung gab es meines Wissens dazu in Riddagshausen nicht, schon gar keinen Bürgerentscheid, insofern kann die selbsternannte „Bürgerschaft“ Riddagshausen mit den sogenannten „Riddagshäuser Bürgern“ eigentlich nur sich selbst meinen.

So ist es nicht nur befremdlich, sondern schon etwas bedenklich, wenn ein eingetragener Verein sich in einer „Newsletter“ quasi selbst zum Souverän ernennt (die „Riddagshäuser Bürger“) und sich vorab schon einmal verbal mit Halskrause und Talar einer legitimen, gewählten Vertreterschaft der Riddagshäuser Bürger schmückt (einer selbsternannten „Bürgerschaft“ Riddagshausen).


Eine weitere Eigenheit dieser Entscheidung:
Durchgesetzt wurde die Baumfällaktion im Bezirksrat stimmenmäßig erst einmal mit der absoluten Stimmenmehrheit der CDU-Fraktion, die dort 7 von 13 Stimmen hat. Sechs der sieben CDU-Bezirksräte kommen aber gar nicht aus Riddagshausen sondern aus Querum, der siebte wohnt vor den Toren am Riddagshäuser Friedhof, wo er Gott und Gliesmarode näher ist als dem Riddagshäuser Ortskern.

Wenn hier mehrheitlich Querumer über Riddagshausen entschieden haben, dann stellt das schon auch die Aufteilung der Bezirke nachdrücklich in Frage. Denn nach der Kommunalreform sollten die Stadtbezirke so aufgeteilt werden, dass alte Ortsgrenzen nach Möglichkeit respektiert werden. Ortsbürger sollten jeweils über ihre eigenen Angelegenheiten befinden, d.h. Riddagshäuser über Riddagshäuser Angelegenheiten wie Querumer über Querumer Angelegenheiten.
(Zur Abgrenzung von Stadtbezirken Christian Wefelmeier in Blum u. a. Kommentar NGO, § 55, Rn 7: "Danach sollte auf die Siedlungsstruktur, die historischen und geographischen Gegebenheiten und die Ziele der Stadtentwicklung Rücksicht genommen werden. [...] Unter Berücksichtigung der historischen Gegebenheiten ist die Bildung der Stadtbezirke z. B. entsprechend bisher bestehender in sich geschlossener Ortschaften oder früherer selbstständiger Gemeinden zu verstehen.")