David McAllister "Fukushima ist eine Zäsur für die Welt"

 ... das sagte der Ministerpräsident  am 16. März 2011 im Niedersächsischen Landtag in seiner lesenswerten Regierungserklärung   (s. auch www.ndr.de)

Stefan Wenzel, Fraktionsvorsitzender von Buendnis90/Die Grünen antwortete darauf: „Konsequenzen der Katastrophenereignisse in Japan“

- es gilt das gesprochene Wort -


Anrede,

wir sind in diesen Stunden mit unseren Gedanken und Gefühlen in Japan.

Wir sind bei den Menschen, die bei der ersten und zweiten Katastrophe - dem Erdbeben und dem Tsunami - ihre Angehörigen und ihre Freunde verloren haben.

Die erste und zweite Katastrophe übertrafen die menschliche Vorstellungskraft und dennoch kam es noch schlimmer. Die Explosionen in vier Fukushima-Reaktoren sind apokalyptisch in ihren möglichen Auswirkungen.

Die Entwicklung der letzten Tage hat dazu geführt, dass Menschen, die verletzt unter den Trümmern lagen nicht mehr gerettet wurden, weil eine ganze Region evakuiert werden musste.

Hilfsteams wurden nicht mehr ins Katastrophengebiet gelassen. Selbst die US-Navy hat ihren Flugzeugträger abdrehen lassen, der eigentlich als schwimmendes Lazarett dienen sollte.

Das ist die eigentlich zivilisatorische Katastrophe. Wenn Opfern nicht mehr geholfen wird und die Helfer selber fliehen müssen. Das ist der soziale Notstand, der an die Grundfeste der Zivilisation rührt.

Wir erleben in diesen Tagen wie eine Industriemacht, eine der größten Volkswirtschaften dieser Erde an ihre Grenzen kommt.

Wie will man eine Metropole wie Tokyo evakuieren?

Wohin sollen die Menschen gehen?

Was passiert, wenn die Strom- und Wasserversorgung für Wochen am Boden liegen und die Industrie ihre Produktion für längere Zeit einstellt?

Und der Spiegel fragt gestern sogar: Was passiert wenn Tokyo oder Teile von Tokyo unbewohnbar werden?

Anrede,

die Entwicklung in Fukushima übersteigt alles, was sich menschliche Fantasie bislang ausmalen konnte.

Die Atomkraft ist der größte anzunehmende Widersinn in der Energiepolitik.

- Atomkraft wurde als preiswerte, wenn nicht gar als billige Energieform angepriesen und ist in Wirklichkeit unter Einrechnung der gesamtgesellschaftlichen Kosten die teuerste auf der Welt.

- Atomkraft wurde und wird als sichere und umweltfreundliche Energieform dargestellt und ist in Wirklichkeit, insbesondere eingedenk der Atommüllproblematik, die unsicherste auf der ganzen Welt.

- Atomkraft wurde gepriesen, weil angeblich der wachsende Energiebedarf der Welt gar nicht anders bedient werden kann. Der GAU in Japan zeigt jetzt aber, dass die Lichter nicht ausgehen, wenn die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, sondern dann, wenn sie am Netz bleiben.

- In der Krise appellieren die Atomkraftbefürworter an die Vernunft der Atomkritiker, aus dem GAU keinen politischen Profit schlagen zu wollen. Wir fragen: wo bleibt nach all den ungeklärten Endlagerfragen, den Pannen und Störfällen, den kleinen und großen nuklearen Desastern die Vernunft der Atomlobby?

Anrede,

Was ist zu tun in diesen Stunden? Was kann man tun in 9000 km Entfernung?

Wir müssen jetzt zweierlei tun:

Unsere Hilfe anbieten wo immer Hilfe möglich ist. Auch wenn sie nicht sofort abgefordert wird, ist damit zu rechnen, dass Japan in den nächsten Wochen massive Unterstützung der internationalen Gemeinschaft benötigt.

Und wir müssen die Konsequenzen für unser eigenes Land ziehen:

Wahlkampfabschaltungen von Atomkraftwerken reichen nicht aus. Die ältesten sieben AKW und Krümmel müssen endgültig und sofort vom Netz. Das AKW Unterweser steht direkt hinterm Deich und der Deich ist für eine schwere Sturmflut zu niedrig. Die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls der Notstromversorgung oder der Nachkühlung wegen Überflutung hat der Betreiber EON in seiner Sicherheitsüberprüfung mit bis eins zu einer Milliarde angegeben. Mit Verlaub: Das ist angesichts steigender Meeresspiegel, geplanter Weservertiefung und höher auflaufender Sturmfluten ein schlechter Witz. Das Kraftwerk ist 33 Jahre alt und darf nie wieder ans Netz gehen.

Das Drei-Monats-Moratorium von Frau Merkel und den fünf Ministerpräsidenten ist eine Mogelpackung: Die Exekutive verfügt nicht über die Kompetenz zur Aussetzung von Gesetzen. Die Laufzeitverlängerung von AKW muss unverzüglich vom Parlament aufgehoben werden.

Nur so kann Rechtssicherheit geschaffen werden. Nur so kann Schadenersatzklagen der Konzerne der Boden entzogen werden. Nur so kann sicher gestellt werden, dass keine Strommengenübertragung stattfindet. Nur so kann verhindert werden, dass die Anlagen nach den Wahlen wieder angefahren werden.

Eine politische Notkühlung, die vom Good Will der Atomkonzerne abhängig ist, werden wir nicht akzeptieren.

Es geht jetzt nicht nur um Innehalten, sondern um nachvollziehbare, konsequente und zielgerichtete Schritte zur Gewährleistung der Sicherheit.

Es geht um zielgerichtete Maßnahmen zum Umbau der Energieversorgung.

Anrede,

eine Kommission zur Überprüfung der Sicherheit von Atomkraftwerken, die aus den üblichen Verdächtigen und konzernabhängigen "Wissenschaftlern" zusammengesetzt ist, wäre eine Farce.

Wir sind heute auch in diesem Dilemma, weil kritischer Sachverstand immer wieder an den Rand gedrängt wurde.

Anrede,

ja, das ist jetzt die Stunde der Solidarität mit Japan. Das ist die Stunde der Trauer um die Toten und Verletzten. Die Stunde des Mitgefühls für die Angehörigen.

Ja, das ist keine Stunde für die moralisierenden Zeigefinger, keine Stunde für Zynismus oder Rechthaberei und das ist auch keine Stunde für Panikmache!

Aber das ist auch keine Stunde für die Fortsetzung des Irrglaubens, der Unehrlichkeit und des Betrugs an der Öffentlichkeit. Auch in diesem Hause haben viel zu viele, viel zu lange und viel zu entschieden dem blinden Fortschrittsglauben gehuldigt - oder tun es vielleicht sogar immer noch. Viel zu viele haben viel zu lange und viel zu entschieden der Risikotechnologie Atomkraft die ewige Unbedenklichkeit attestiert. Das muss aufhören. Das ist die Lehre von Fukushima!

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ich hätte mir gewünscht, Sie hätten diese Rede doch bloß - um alles in der Welt - schon vor einem Jahr gehalten.

Wir wären einen guten Schritt weiter.

Herr Ministerpräsident McAllister, in der Presse steht heute über Sie zu lesen, dass Sie als "bekennender Kernkraftskeptiker" gelten. Skepsis wird nach Fukushima nicht reichen, um Schaden vom Land abzuwenden.

Über den Anti-AKW-Protesten der letzten Tage steht die Überschrift: "Aus Trauer wird Power – Aus Wut wird Mut!".

 Wir sagen: Abschalten und Aussteigen!

 

 


Kommentare   
 
0 #1 Corinna Senftleben 2011-03-19 16:38
Deutschland und die Kernkraft. Auf ZDF lief, nach Mitternacht, eine Doku. Die ist noch ein paar Tage in der Internet-Mediat hek vom ZDF zu sehen. Die Doku ist 2011 fertiggestellt ...

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/hauptnavigation/sendung-verpasst/#/beitrag/video/1287058/Das-verdr%C3%A4ngte-Risiko