Wolf Biermann im Staatstheater: Einblicke in die „Wartehalle zur Weltrevolution“
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- Veröffentlicht: Montag, 27. März 2017 22:02
- Geschrieben von Klaus Knodt
Laut, polternd, sarkastisch und meinungsstark: Wolf Biermann präsentierte sich im Staatstheater in Bestform. Foto: Marcus von Bucholz
Nun ist er 80 Jahre alt, und noch immer kein bisschen leise. Aggressiv und schnodderig wie eh und je, in grauer Hose und schwarzer Lederjacke dahingefläzt auf einem braunen Sessel, stellte Sänger, Dichter, Liedermacher, Protestikone Wolf Biermann Sonntagabend im vollbesetzten Großen Haus seine Autobiographie vor: „Warte nicht auf bessre Zeiten!“ der Titel, der programmatisch über sein unangepasstes Sein passt.
Moderiert von Andreas Öhler (Redakteur Christ + Welt in der ZEIT) und stellenweise vorgetragen von Regisseur Manuel Soubeyrand (ein unehelicher Ziehsohn Biermanns aus dessen Verbindung mit Brigitte Soubeyran) erklärt, deutet, präzisiert Wolf Biermann Details aus seinem Leben, die sich wie ein Puzzle zum Gesamtbild des politischen Lebens in beiden Deutschlands zusammenfügen. Wenn er wütet, streitet, aber auch ironisch kommentiert, hängen die Zuhörer – vom greisen Alt-68er mit silbernem Haarkranz bis zur 20-jährigen Studentin – gebannt an seinen Lippen. Andreas Öhler warnt bereits zu Beginn des Abends: „Das ist gar keine Autobiographie, sondern ein Jahrhundertroman, aus dem man 3 Bände hätte machen können.“
Gemeinsam mit Ziehsohn Manuel Soubeyrand (rechts) stellte Wolf Biermann seine leidenschaftlich geschriebene Autobiographie im Staatstheater vor. Foto: Marcus von Bucholz
Lange habe er sich gesträubt, „dieses verdammte Buch zu schreiben“, so Biermann: „Ich bin doch eher ein Sprinter.“ Da vergisst der Zuschauer glatt, dass da vorn auf der Bühne der Zeitzeuge eines dreiviertel Jahrhunderts, vom Untergang des Dritten Reiches und der gesamten deutschen Teilung seit Geburt der DDR sitzt - Wiedervereinigung und ihre tragischen menschlichen Nachwehen eingeschlossen. Beim Erinnern prall gefüllter acht Jahrzehnte halfen ihm Tausende Seiten Tagebuch, die er seit der Jugend schrieb und die ein Freund für ihn nach seiner Ausbürgerung 1976 rettete. Ironie der Geschichte: „Später stellte sich heraus: Der war ein Spitzel der Stasi.“
Von der war Biermann ohnehin zeitlebens umgeben. Und doch hört es sich eher nach den schabernäckigen Streichen eines Lausbuben an, wenn er beschreibt, wie er seit seinem endgültigen Auftrittsverbot 1964 die Lauscher austrickste: „Wenn ich für ein paar Tage meine Ostberliner Wohnung verließ, habe ich ganz fein Mehl auf dem Parkett verstreut. Bei der Rückkehr musste ich mich flach hinlegen und konnte dann genau erkennen, in welchen Ecken die Trottel herumgetrampelt sind.“ Mit einem eingeschmuggelten Metalldetektor ging er dann „wie ein politischer Kammerjäger auf Wanzenjagd.“
In dieser Wohnung traf der politisch Geächtete auch die anderen Zeitzeugen der deutsch-deutschen Geschichte. Robert Havemann, Rudi Dutschke, Serge Gainsbourg, Manfred Krug, Helene Weigel, die junge Ulrike Meinhof waren zu Besuch – „meine Wohnung kam mir vor wie die Wartehalle zur Weltrevolution“, grinst Biermann. Auch Margot Honecker empfing er, als nach seinem politisch missliebigen Gedicht „An die alten Genossen“ sein Theaterprojekt 1963 dicht gemacht wurde. „Das war mein Lehrstück in politischem Opportunismus.“ Und Biermann bekennt über diese Jahre: „Wer keine Angst hat, ist ein Idiot. Die Frage ist nur, ob du Angst hast oder ob die Angst dich hat.“
Angst, die er schon früh hat erleben müssen. Als Kind im Hamburger Feuersturm an der Hand seiner geliebten Mutter Emma, die sich als überzeugte Kommunistin „auf die britischen Bomber freute. Es war nur unpraktisch, dass sie uns dann die Bomben auf den Kopf warfen“. Und wie zum Trotz gegen das erlebte Grauen zwischen verkohlten Leichen und brennenden menschlichen Fackeln schreibt er über das lodernde Hamburg: „Es knisterte so schön“. Da pfeift einer ganz tief im dunklen Wald.
Die Mutter war die Triebkraft im Leben des jungen Wolf Biermann, nachdem sein jüdischer Vater von den Nazis im Vernichtungslager ermordet worden war. „Ich sollte für meine Mutter die Menschheit retten und den Kommunismus aufbauen“, erklärt Biermann seine konsequente Umsiedlung in die DDR im Frühjahr 1953 – gerade 16 Jahre alt, und praktisch am Vorabend des Arbeiteraufstands. Schon früh eckte er im Internat in Gadebusch bei den Funktionären an und tröstete sich mit dem Gedanken: „Das ist nicht die wahre DDR. Wenn das der Ulbricht wüsste!“
Die Geschichte ist über diesen Irrtum hinweggerollt mit der Urgewalt eines Panzers. Biermann panzerte sich daraufhin mit leiser Ironie, offenem Sarkasmus, lautstarkem Wutgeheul und der Unbeirrbarkeit des Kämpfers, der bis heute auf bessre Zeiten wartet.
Vor und nach der Lesung nahm sich Biermann bei der Signierstunde Zeit zu einem Schwätzchen mit seinen Lesern. Foto: Marcus von Bucholz
(Wolf Biermann: „Warte nicht auf bessre Zeiten! – Die Autobiographie, Propyläen, Hardcover mit Schutzumschlag, 576 Seiten, ISBN-13 9783549074732)