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Gerstäcker abwickeln? Das wäre eine Riesendummheit!

Das Gerstäckermuseum soll geschlossen werden. Die Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. als bisheriger Betreiber will das Museum erhalten, kann das aber nicht länger aus eigener Kraft leisten; deshalb verhandelt er mit der Stadt Braunschweig. Die erklärt nun aber kategorisch, dass sie auf keinen Fall das Museum übernehmen wolle. Verhalten und Argumentation der Stadt erwecken verdächtig den Eindruck, dass  Gerstäcker abgewickelt werden soll, dazu unten mehr.

 Welche Bedeutung hat Friedrich Gerstäcker für unsere Stadt? 

Gerstäcker, ziemlich genau vor 200 Jahren geboren, war eine beeindruckende, höchst interessante Persönlichkeit. Mit 21 Jahren schifft er sich nach Amerika ein, wo er sieben Jahre in den verschiedensten Tätigkeiten und Gegenden Erfahrungen sammelt, sogar als Goldsucher.  Zurück in Deutschland, verarbeitet er seine Erlebnisse und Beobachtungen als Schriftsteller und wird schnell populär.   1848 nimmt er an der Revolution teil. Er untersucht sogar im Auftrag des Paulskirchenparlaments die Lage der zahlreichen deutschen Auswanderer. Auf weiteren Reisen nach Süd- und Nordamerika,  in die Südsee, nach Australien, nach Afrika und nach Java  lernt er immer neue Weltgegenden kennen und setzt sich kritisch mit dem Kolonialismus, mit dem Missionarswesen, mit der Sklaverei und mit dem Vernichtungsfeldzug gegen die Ureinwohner des amerikanischen Kontinents auseinander, hauptsächlich in spannenden Romanen, aber auch in Berichten. Er vermittelt seinen Zeitgenossen (und uns heute) viele Kenntnisse und anschaulich beschriebene Beobachtungen über die sich rasch „globalisierende“ Welt. Der Schriftsteller Wolfgang Bittner beschreibt Gerstäcker in einer Schrift zu dessen 2oo. Geburtstag treffend als Mann mit einem „individuell humanen Standort“, beeinflusst von den Gedanken der Französischen Revolution und sehr kritisch gegenüber den feudalen und anderen Autoritäten (sehr lesenswert, bei „hintergrund.de“). Eine ausgeprägte Liebe zur Natur, ein waches Auge für deren Gefährdungen, und ein vor allem starker Unabhängigkeitswille kommen hinzu.

Er verbrachte  acht wichtige Kindheits- und Jugendjahre in Braunschweig und ließ sich für seine letzten Lebensjahre wieder in unserer Stadt nieder, wo er auch begraben wurde. Sogar ein Braunschweig-Krimi gehört zu seinen Werken. 1957 wurde er posthum vom Staat Arkansas zum Ehrenbürger ernannt. Er war eine Persönlichkeit, auf die wir stolz sein können und von der wir noch heute etwas lernen können.

Wer ist zuständig für die Pflege unsres kulturellen Erbes?  In erster Linie die Stadt!

Bisher hat der Gerstäckerverein mit viel ehrenamtlicher Arbeit die Erinnerung an Gerstäcker und sein Werk wach gehalten, nicht zuletzt im Museum an der Wolfenbüttler Straße. In gewisser Weise war das für die Stadt eine komfortable Situation, die nun zu Ende geht. Spätestens jetzt ist sie aber selber gefragt. Die zuständige Vertreterin des Kulturinstitutes erweckt allerdings nicht den Eindruck, dass ihr das voll bewusst sei. Sie kritisiert den Standort des Museums und bemängelt die Präsentation der Objekte, aber nicht, um einen besseren Standort zu suchen und um die Präsentation zu modernisieren, sondern um sich für ein Aus des Museums auszusprechen. Ein bisschen scheint sie sich auch hinter den Stiftungen zu verstecken: diese seien nicht bereit, das Museum zu finanzieren (regionalbraunschweig, 24.6.16). Na und?

Ihre eigenen Vorstellungen bleiben dagegen sehr vage: „Teile der Sammlung“ könne man ja im Städtischen Museum zeigen, „zum Beispiel im Zusammenhang mit der ethnologischen Sammlung des Hauses“, den Aspekt der Auswanderung solle besser das Landesmuseum behandeln und „womöglich“ könnten die literarischen Aspekte im Literaturzentrum bearbeitet werden („gegebenenfalls“ mit zusätzlichen Mitteln) (alle wörtlichen Zitate aus: BZ, 25. Juni). Ein klares eigenes Konzept ist da nicht erkennbar. Das erscheint umso schwerwiegender, als sie selber von vielen Gesprächen berichtet, die „seit Monaten“ geführt würden und in denen sie ein umfassendes Bild erhalten haben muss, aus dem sie ein neues tragfähiges Konzept hätte entwickeln können.  

Ein Gerstäckermuseum  als Kristallisationspunkt ist für Braunschweig unverzichtbar

Die zitierten vagen Vorstellungen zeigen aber auch, dass Gerstäcker als Gesamtpersönlichkeit untergehen würde. Denn so interessant die völkerkundlichen Aspekte seiner Reisen auch sind, sie machen doch nur einen (kleinen) Teil seines Lebens und seiner Werke aus. Auch in einer Behandlung der Auswanderungsfrage durch das Landesmuseum wäre Gerstäcker natürlich nur eine Randnotiz, mehr nicht. Selbst die Arbeit an und mit seinen Werken durch das Literaturzentrum würde nur Teilaspekten gelten. Also: wo bliebe das interessante Leben, die erlebten Abenteuer, die Initiative, der Mut, die Leidensbereitschaft, die wiedergegebenen Erfahrungen, die  damals ganz und gar nicht selbstverständliche persönliche Haltung und die Kritik an den bestehenden Verhältnissen – kurz -, wo bliebe Gerstäcker als historisch-literarische Gesamtpersönlichkeit?

Die Würdigung all dessen ist ohne ein Museum nicht denkbar. Wo es steht und ob es in eine größere Einrichtung integriert wird, ist zweitrangig. Erstrangig ist aber ein umfassendes Konzept, nicht nur für das Museum; ein Konzept, das Gerstäcker in unserer Stadt selber wieder stärker ins Bewusstsein hebt, und das dann auch mit Gerstäcker nach außen ganz anders werben kann. Dieses Konzept kann nur von der Stadt kommen, nicht allein vom Gerstäckerverein und auch nicht von den Stiftungen, deren Beiträge natürlich weiter erwünscht sind.

Vielleicht sollte sich die Kulturdezernentin, Dr. Hesse, dieser Sache persönlich annehmen. Sicher nicht ohne Unterstützung unseres Oberbürgermeisters, Ulrich Markurth, der immerhin mit dem MK dieselbe Schule besucht hat wie seinerzeit Friedrich Gerstäcker.

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