Kurzbericht über die Suche nach dem „Friedenskakao“ für Braunschweig in Kolumbien

„Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.“

Willy Brandt, November 1981

Kakaofrüchte

Es wurde in Kolumbien ein Kakao mit hoher Friedensdividende gesucht. Frieden sowohl mit der Natur als auch unter den Menschen. Natürlich sollte der Kakao einen besonderen Geschmack haben, aber er sollte vor allem einen Beitrag zum Frieden leisten. Folgende Bedingungen sollte der Kakao erfüllen.

Der Anbau von Kakao sollte

  • die Biodiversität fördern
  • Beitrag zum Klimaschutz leisten
  • zum Frieden beitragen
  • die Familienökonomie stärken und die Nahrungsmittelsicherheit fördern
  • Coca ersetzen
  • Frauen fördern
  • indigene Bevölkerung unterstützen
  • entwicklungspolitische Initiativen fördern
  • nachweislich hohe Glaubwürdigkeit haben

Im Grunde war dieser anspruchsvolle Anforderungskatalog kaum realisierbar. Schon gar nicht durch das klassische „Fairtrade“ oder den Bioanbau nach EU-Norm. Insofern nahm ich bei der Kakaosuche auf diese Vermarktungs- und Anbauformen keine Rücksicht. Denn auch die Siegel "Bio" und "Fairtrade" sind Kompromisse. Sie sind nicht ausreichend, um grundlegende Strukturen im Sinne einer Agrarethik zu verändern. Ferner basiert jede Zertifizierung auf Misstrauen. Vertrauen wäre besser. In Kolumbien wollte ich außerdem sehen, ob Vertrauen auch ein Weg für zukünftige Entwicklungen in der Wirtschaft sein kann. Im Grunde war diese Reise Teil eines Forschungsprojekts. Schade, dass man so etwas privat machen muss, denn die Erkenntnisse sind "werte"-schöpfend.

Ein erfolgreiches Team. Abschlussbesprechnung im UN-Quartier in Bogota.

Organisation

Die bisherigen Recherchen und Reisen waren ergebnislos geblieben. Kompromisse standen aufgrund der komplexen Anforderungen zur Diskussion, wurden von mir aber verworfen, weil ich das Maximum wollte; ich wollte den ultimativen Kakao. Trotz der bisherigen Misserfolge fuhr ich wieder nach Kolumbien, weil dieses Land den Krieg kennt – seit 50 Jahren. Doch diesmal fuhr ich mit einer umfassenden Vorbereitung – und das war der Schlüssel zum Erfolg. Meine Partnerinnen waren diesmal die UNO, SWISSCONTACT und die Kolumbianerin Mabel Rueda Baquero (interne Organisation und Übersetzung) Alle Partnerinnen erwiesen sich in Kolumbien als hoch kompetent, flexibel und kooperationsbereit.

Ich fuhr in Kolumbien zunächst in Begleitung von einheimischem PNUD-Personal und mit Fahrzeugen der PNUD (Programa de las Naciones Unidas para del dessarollo), die Untereinheit der UNO für Entwicklung (UNEP) und später mit der SWISSCONTACT Colombia zu den Kooperativen und Genossenschaften. Die Auswahl trafen die Partnerinnen nach meinen Vorgaben. Nach den Anreisen mit Flugzeug nach Bucaramanga (Santander), Barrancabermeja (Santander) und Valledupar (Cesar) und/oder Boot auf dem Rio Magdalena zunächst nach El Carmen de Chucuri (Provinz Santander) und Santa Rosa (Bolivar, Magdalena Medio), fuhren wir in geländegängigen Fahrzeugen, die bei allen Reisen unabdingbar waren. Sie wurden von UNO oder SWISSCONTACT gestellt. Die Reisen waren von den örtlichen Partnern hervorragend organisiert worden.

Die Frauen von Fuinmucar produzieren den Kakao in ihrer Friedens-Kakao-Gemeinschaft. Links die UNO-Mitarbeiterin Ines Hernandes, im bunten Shirt Mabel Rueda aus Bogota (Organisation und Übersetzungshilfe). Neben ihr im weißen Shirt die Leiterin des Projektes PNUD Olga Lucia Duitama Rojas.

Die Frauengemeinschaften in Frieden und Kakao

Vier PNUD-Projekte, die Kakao in El Carmen de Chucuri produzieren, werden ausschließlich von Frauen betrieben: Aprimujer, Fuinmucar und Cortipaz. Agroexsa ist die Vertriebsorganisation für den Kakao der Frauen. Vor 20 Jahren hatten sich die Frauen mit Landeigentum in Kooperation mit der Kirche entschieden, die Guerilla und die Paramilitärs aus dem Gebiet zu drängen. Ziviler Widerstand und die zunehmende Stärke der ersten Frauengemeinschaft „APRIMUJER“ (Asociacion Municipal para la  Promocion Integral de la Mujer Rural) und eine weitere „FUINMUCAR“ (Fundacion Integral de la Mujer Carmelena), die Kakao anbauten, befriedeten das Anbaugebiet, das zuerst noch Coca, dann aber nur noch Kakao anbaute. Mit dem fehlenden Coca wurden die Frauenorganisationen auch uninteressanter für die kriegführenden Parteien.

Zwei der etwa 50 mutigen Frauen, die den Friedensprozess begannen und anführten sind Cecilia Nino und Margan Atuesta von APRIMUJER

Inzwischen dürfen auch Männer mit Landeigentum in der extra gegründeten Kooperative bei CORTIPAZ (La Corporación Tierras para la Paz) mitmachen. AGROEXSA (AGRO EXPORTACIONES SAMIR S.A.C.) ist die Abrechnungs- und Exportorganisation der Frauengemeinschaften und wird ebenfalls von Frauen geleitet.

Eine wichtige Bedingung für den "Friedenskakao" war die Mischkultur, um die Familienökonomie zu stabilisieren. Diese Frauen von FUINMUCAR zeigten einen kleinen Ausschnitt von dem was sie anbauen: Avocado, Kakao, Mandarinen, Beeren, Orangen und Bananen.

Der Kakao

Der Kakao wurde auf den 1 bis 5 ha großen Fincas in Mischkultur mit Früchten des Verzehrs und des Marktes angebaut. Wie in allen besichtigten Betrieben, wird Wert auf eine Sorten- und Klonmischung gelegt. Auf alten Criollo-Sorten werden Kakaobäume durch die Veredlungstechnik des Anplattens mit den gewünschten Edelreisern veredelt. Dieses vegetative Vermehrungssystem ist so erfolgreich, dass diese Form des Sortenwechsels an jedem besichtigten Standort durch Veredlung vorgenommen wird. Kakao-Pflanzen für Neuanpflanzungen und Schattenbäume kommen aus Baumschulen. Über die Neupflanzungen und Pflanzenklone für die Veredelungen wird in allen Plantagen Buch geführt. Durch Handbestäubung wird gezielt Züchtung betrieben. Zuchtziele: Geschmack und Qualität sowie Resistenz gegen die Pilzkrankheiten Phytophthora palmivora und Moniliophthora roreri.

Kakaostrauch reich behangen. Die Früchte wachsen am Stamm oder an den Ästen (Cauliflorie)

In allen Fincas wird in Kisten fermentiert und in den meisten unter dem auf Schienen ausfahrbaren Wellblechdach der Kakaosame (Bohne) getrocknet.

Die Frauengemeinschaften haben begonnen, den Kakao in großen Fermentationsanlagen und Trocknungstischen mit Netzunterlage zu verarbeiten. Sie erwarten zu recht eine gleichmäßigere Qualität und eine weitere Stärkung der Gemeinschaft. Gemeinsam wird auch eine Versuchsanlage betrieben. Auch sie befindet sich im Aufbau. Es sollen Pflanzengemeinschaften, an die Region angepasste Klone und Resistenzeigenschaften der Klone geprüft werden.

Das Innere einer Kakaofrucht. Die Samen sind von einem süssen, glitschigen Gewebe umgeben

Die Qualität wird in drei Stufen unterschieden: Corriente, Premium und UTZ (Label nach Zertifizierung). Eine Qualitätskontrolle ist obligatorisch. Ansicht nach Aufschnitt, Feuchtigkeit, 100-Gramm Samenanzahl und mikrobieller Befall werden festgestellt.

Arhuacos in der Sierra Nevada

Es war beschwerlich zu dem indigenen Stamm der Arhuacos zu gelangen. Die Fahrt begann in „Valledupar“ und führte durch „Pueblo Bello“ in die Sierra Nevada de Santa Marta, die sich wild und sehr schwach besiedelt präsentierte.

Die Reise zu den Arhuacos war höchst beschwerlich

Das Gebiet der Sierra Nevada de Santa Marta war über etwa zehn Jahre vom Bürgerkrieg überzogen worden. Guerillas und Paramilitärs sind schuldig an tausenden Toten. Auch unter den Arhuacos gab es viele Tote, auch Mamos (Geistige Führer). Der Druck zwang sie in die entlegenen Gebiete der Sierra Nevada.

Die Arhuaco-Frauen spinnen die Schafwolle, um daraus die Umhängetaschen (Mochila) zu knüpfen

Drei Jahre hatte PNUD die Kakao-Projekte der Arhuacos betreut. Ab nächstem Jahr wird es die Lutheran World Relief sein. Die Qualität ist noch nicht weltmarkttauglich.

Zunächst sehr verschlossene indigene Männer. Cocablätter im Mund, die Wolltasche (Mochila) mit Cocablättern drin.

Die Arhuacos haben eine nicht am Kommerz orientierte Lebensausrichtung. Sie sind genügsam, friedlich und der Erde (Mutter Erde) eng verbunden. Ihr Lebensstil und ihre Lebensphilosophie ist auf Nachhaltigkeit im engeren Sinne des Wortes ausgerichtet. Ihr „Häuptling“, der als Mamo bezeichnet wird, könnte als Weiser bezeichnet werden. Sie genießen im Stamm höchsten Respekt.

Der Arhuaco "Karin" war für den Kakao zuständig. Relativ rasch entstand ein gutes Verhältnis zu ihm

Nach einer Eingewöhnungsphase konnte ein positives, offenes Verhältnis zu den Arhuacos aufgebaut werden. Gespräche waren möglich mit einzelnen Mitgliedern, die gut Spanisch sprachen.

Viele Arhuacos waren gekommen, um den Besuch zu sehen. Hier nur ein Ausschnitt. Die weißen Baumwollkappen symbolisieren die schneebedeckte Sierra Nevada de Santa Marta.

Nicht nur die Arhuacos bauen in der Region Sierra Nevada Kakao an. Auch Kleinbauern, die sich aktiv gegen die Militarisierung des Gebietes engagiert hatten (insbesondere Frauen), sind hoch aktiv im Kakaoanbau tätig.

Ein einsamer Reiter mit seinem Maultier in der Sierra Nevada

Die Projekte der PNUD und der süd-koreanischen Entwicklungsorganisation „KOIKA“ zielen auf die Inclusive Entwicklung des ländlichen Raums. Die ländlichen und indigenen Gemeinschaften haben sich organisiert im Verband der Kakaobauern. Marketingspezialisten verkaufen die landwirtschaftlichen Produkte über die (ACAPAPB) Arhuacas Authorities Association (ASOCIT) von Pueblo Bello und über die „Asociación de Víctimas de Minas de Iracal“ (ALIANZA POR LA VIDA).

Eine Arhuaco-Familie in der Sierra Nevada unterwegs

Irgendwann taucht die Frage auf, warum man immer nachts in den Flüssen der Wildnis stecken bleibt. Man wartet dann bis im Laufe von Stunden genug Helfer da sind. Aber wenigstens ist das Wasser warm. 

Besuch bei Flüchtlingen und ehemaligen Coca-Anbauern

Familien waren aus dem Bürgerkriegsgebiet am „Mittleren Rio Magdalena“ geflohen. Sie waren entweder Kleinbauern oder Fischer. Vor 3 Jahren sind sie zurückgekehrt, haben 1-4 ha Land bekommen und Kakaojungpflanzen von der Regierung erhalten und bauen nun nach Beratung Kakao in Mischkultur an.

 

Fermentationskisten für den frisch geernteten Kakao. Links der Leiter von Swisscontact Miguel Perez und ein Mitarbeiter von APROCASUR

Ebenso Cocabauern, die bis zu 20 ha Besitz haben und inzwischen von Coca auf Kakao gewechselt sind. Sie berichteten hinsichtlich ihrer Beweggründe, dass sie ein ruhigeres Leben wollten. Ständig kamen Guerilla oder Paras und wollten Geld oder sie hatten Angst vor den Regierungssoldaten, die die Sträucher abtöteten. Es sei nicht mehr auszuhalten gewesen. Das Projekt APROCASUR (Asociación de Productores de Cacao del Sur de Bolívar ) wird u. a. von UNODC (United Nations Office on Drugs and Crime ) gefördert.

Das Arbeitsmotto der APROCASUR ist: “Desarollo Alternativo: paz, legalidad y futuro” (Alternative Entwicklung: Frieden, Legalität und Zukunft)

Zum Ende meiner Reisen trafen sich SWISSCONTACT und UNO in einem Büro in Bogota und vereinbarten Zusammenarbeit, weil beide Organisationen bei Kakao und Frieden gleiche Ziele und Organisationsstrukturen haben. Die weiteren Schritte wurden besprochen.

Alle Fotos von Uwe Meier