Disneyland im Bibliotheks-Foyer?

Zur Gestaltung des zukünftigen Eingangsbereichs der Öffentlichen Bücherei / Stadtbibliothek hinter der rekonstruierten Schlossfassade

Kurz vor Weihnachten haben CDU und FDP sich für eine pseudo-klassizistische Gestaltung des künftigen Bibliotheks-Foyers hinter der rekonstruierten Schlossfassade entschieden. Diese Entscheidung, die einen Teil der Ausgaben in Höhe von vorerst einmal weiteren 1,2 Millionen Euro aus dem Stadtsäckelfür für eine reine '"Verkleidung" beinhaltet, die nicht das Geringste mit einem historischen Zustand zu tun hat, ist absurd - und dies ebenso sehr aus der Sicht der Bibliotheksbenutzer wie erst recht aus der Perspektive des Bau- und Kunsthistorikers.

Während es ohne weiteres möglich ist, den künftigen Bibliotheks-Eingangsbereich hinter der rekonstruierten Schlossfassadein einer funktionalen und modernen Formensprache zu realisieren, ist die Rekonstruktion der ursprünglichen Ottmerschen Konzeption an dieser Stelle unmöglich, weil die bereits realisierten Bauteile eine rekonstruierende Lösung nicht mehr zulassen. Die bestehende bauliche Situation hat hinsichtlich Höhe, Breite und Länge, hinsichtlich der Proportionen wie der Grundrissform nicht das geringste mit dem ehemaligen Ottmerschen Foyer an der gleichen Stelle zu tun. Der Bereich des ehemaligen Ottmer-Eingangsraumes ist unwiederbringlich aufverschiedene Räume und Funktionen (Kaufhaus, Bibliothek, Nottreppenhaus usw.) aufgeteilt, das klassizistische Konzept axialen Zugangs in der Raumachse ist nicht mehr realisierbar. Eine Rekonstruktion des ursrpünglichen Ottmerschen Foyers ist völlig ausgeschlossen.

Um die Unmöglichkeit einer Rekonstruktion sehr wohl wissend versucht der im Auftrag des Oberbürgermeisters gelieferte Vorschlag des Berliner Architekturbüros Stuhlemmer ersatzweise eine historisierende Anmutung des Bibliotheks-Zugangs zu erreichen, indem er ihn mit einigen pseudo-klassizistischen - häufig nur aufgemalten- Details garniert, angeblich um das Innere dem Äußeren anzupassen. Keines dieser Details hat auch nur das geringste mit der Ottmer-Planung zu tun. Zu allem überfluss reduziert Stuhlemmer sogar noch deutlich die ohnehin geringe Grundfläche des Bibliotheks-Foyers, indem er vor dem Fahrstuhl einen Vorraum abzweigt,damit der moderne Fahrstuhl die klassizistische Illusion nicht allzusehr stört. Durch ein Bronzegitter hindurch sieht man dann - zwei, drei Meter dahinter - die Fahrstuhltür und ein schlichtes Nottreppenhaus!

Diese historisierenden Illusionen sind überflüssig. Eine Bibliothek ist ein Speicher, der Wissen, Bildung und auch Vergnügen bereit hält. Es handelt sich dabei um ein völlig sachliches Instrument, von dem wir vor allem eines verlangen: Funktionalität. Eine Funktionalität, der selbstverständlich auch die Gestaltung entsprechen muss. Niemand erwartet, dass die Bibliothekstische mit Schweinsleder überzogen sind, die Stühle gedrechselte Beine haben oder die Texte am Bildschirm in Sütterlin erscheinen.

Jedermann und jede Frau weiß, dass im ehemaligen Schlosspark die Front des ehemaligen Braunschweiger Schlosses rekonstruiert worden ist und nicht etwa ein Schloss. Gerade jetzt, wo die nüchternen Fassaden fertig gestellt werden, mit denen das Einkaufszentrum an die Schlossfassade anschließt, wird man ebenso deutlich wie sachlich darauf hingewiesen, dass hier mit großem Aufwand an finanziellen Mitteln und persönlichen Opfern der Braunschweiger Bürger (die u.a. auf den Schlosspark verzichten mussten) an ein für dieVergangenheit Braunschweigs und die deutsche Baugeschichte repräsentatives Bauwerk ERINNERT wird, dass diese Erinnerung jedoch eingebettet ist in unsere HEUTIGE Welt der Autos, Flugzeuge, Glasfassaden und Shopping Malls. Es gibt nicht den geringsten Grund zu der Annahme, dass der Besucher der Bibliothek hinter dem Eingangein Trostpflästerchen braucht, das ihm auf der Strecke von einigen Metern darüber hinweghilft, dass er nicht in einem Schloss, sondern in einer Bibliothek gelandet ist. Der Besucher weiß, was ihn erwartet, und er weiß, was er will: Eine gut funktionierende, sachliche und moderne Bibliothek. Pseudo-klassizistisches Disneyland im Bibliotheksfoyer ist eine absurde Verschwendung von Steuergeldern, ein Schildbürgerstreich, der außerhalb von Schilda komisch wirken wird, innerhalb der Stadt jedoch nur mit Sorge und Empörung aufgenommen kann.

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Horant Fassbinder


P.S.
Die Ratsdamen und -herren der FDP, denen der Inhalt des obigen Schreibens vor der Entscheidung zugegangen ist, haben öffentlich erklärt, sie seien gegen die historisierende Vernettelung des Bibliotheks-Foyers. Bei der Abstimmung verhielten sie sich dann anders, angeblich auf der Basis eines Kuhhandels mit der CDU. Wundern sich diese PolitikerInnen über die Politikverdrosssenheit ihrer Mitbürger?