Hintergrund 1913: “Lieber den Türken in der Stadt als einen Herzog von Braunschweig“

“Lieber den Türken in der Stadt als einen Herzog von Braunschweig“ (Braunschweig zu Bestrebungen des Herzog Julius 1568)

Die Braunschweiger Bürger haben über Jahrhunderte die Unabhängigkeit ihrer Stadt gegen das Herzogtum verteidigt. Die Herzöge residierten seit 1432 auch nicht mehr in der Stadt, sie hatten ihre Residenz lieber nach Wolfenbüttel verlegt. Die Freiheiten und Rechte der Stadt waren ihnen aber nach wie vor ein Dorn im Auge. So versuchten sie über mehr als zweihundert Jahre, die Stadt gewaltsam in die Knie zu zwingen. Mit großem Aufwand, Kriegslisten und nackter Gewalt gingen sie vor.

29. Juni 1528 in Wolfenbüttel; † 3. Mai 1589 (Wikipedia)

Herzogliche Kanonenkugel im Mauerwerk des Doms

Noch heute kann man Spuren ihrer Gewalttaten entdecken, sei es die Kanonenkugel im Mauerwerk des Doms, die von der Beschießung der Stadt durch Herzog Heinrich Julius 1605 stammt, oder die ungleichen Türme der Magnikirche (der Nordturm wurde während einer anderen Belagerung zerschossen). Das Aufstauen der Oker bei Ölper, um die Stadt unter Wasser zu setzen, der Versuch, die Stadt von dem lebenswichtigen Fernhandel abzuschneiden, das Bestreben, die Braunschweiger für „vogelfrei“ erklären zu lassen - für die Herzöge gab es kein Tabu im Kampf gegen die selbstbewußte Stadt.

Lange Zeit schafften es die Braunschweiger immer wieder, sich auch gegen sehr große Heere erfolgreich zu verteidigen. 1671 aber gelang es den vereinigten Kräften mehrerer Welfenherzöge, nach kurzer Belagerung mit 20 000 Mann die Stadt einzunehmen und dauerhaft zu unterwerfen.

 „Die freien Bürger Braunschweigs waren zu Untertanen geworden“

Der Preis für die Niederlage war hoch: die Stadt verlor ihr gesamtes Vermögen, selbst das Ratssilber wurde beschlagnahmt. Fortan waren monatlich 3000 Reichstaler für den Herzog aufzubringen, ebenso Lieferungen von Naturalien. Eine 5000 Soldaten starke Garnison wurde der Stadt aufgezwungen, für deren Kosten sie ebenfalls gerade zu stehen hatte. Vor allem aber wurde die politische Selbstverwaltung völlig abgeschafft, im Kern zugunsten einer fürstlichen Kommission. „Die freien Bürger Braunschweigs waren zu Untertanen geworden“, schreibt Dieter Diestelmann treffend („Zeitreise durch Braunschweig…“).

„Braunschweigische Identität“ – wollen wir das wirklich?

Natürlich haben die Herzöge alles getan, um den Bürgern ihren Freiheitsgeist auszutreiben und die stolze, freie Stadt zur Residenz- und Beamtenstadt umzumodeln. Statt Braunschweiger Identität war nun „Braunschweigische Identität“ Trumpf. Einen Grund, sich darüber zu freuen oder das gar zu feiern, kann ein informierter Braunschweiger jedenfalls in der gewaltsam erreichten Stärkung der herzoglichen Herrschaft nicht finden. Er wird eher daran interessiert sein, mehr über die freiheitlichen (und mitunter auch rebellischen) Traditionen der Stadt zu erfahren, von denen heute leider kaum mehr die Rede ist.