Wie Brasilien den Tod seiner Ureinwohner in Kauf nimmt

WELT – 26.10.2017

Massaker, Vertreibungen, Abholzung – und ein Staat, der wegschaut: Die indigenen Stämme im brasilianischen Amazonasgebiet sind vielen Bedrohungen ausgesetzt. Ein neuer Bericht sieht dramatische Veränderungen.

Im brasilianischen Amazonasgebiet leben indigene Stämme abseits der Zivilisation. Doch wo es keine Öffentlichkeit gibt, bietet sich Raum für Verbrechen. In Brasilien wächst die Sorge vor einer ungezügelten Ausbeutung ihres Lebensraums. Aktivisten warnen bereits vor einem schleichenden „Genozid“.
Eigentlich wurden die Gebiete der isoliert lebenden Ureinwohner mit Brasiliens Verfassung von 1988 besser geschützt. Das revolutionäre Ziel lautete: große Reservate, wo keinerlei wirtschaftliche Aktivitäten erlaubt sind. So sollte auch die klimaschädliche Regenwaldabholzung eingedämmt werden.
Doch nun tobt eine Art Konterrevolution. Der neue Bericht des indigenen Missionsrates (Cimi), der vom deutschen Hilfswerk Adveniat unterstützt wird, dokumentiert die dramatischen Veränderungen. Demnach wurden allein im Jahr 2016 mindestens 118 Indígenas getötet. Das sind zwar etwas weniger als im Vorjahr (137), aber doppelt so viele wie zur Jahrtausendwende.
Der Bericht spricht von einer „Anti-Indigenen-Offensive“ durch die Politik und den Agrarsektor. Bei 65 der 112 aufgeführten sogenannten unkontaktierten Völker, die weitgehend in Isolation leben, gibt es dem Bericht zufolge konkrete Bedrohungen: Diese reichen von Invasoren, die illegal Tropenholz in ihren riesigen Gebieten roden, über den Bau von Straßen und Wasserkraftwerken, bis hin zu Drogentransportrouten, illegalem Fischfang und dem Abbau von Gold.

Massaker an zehn Ureinwohnern

Erst im September sorgten Berichte über ein Massaker an einem völlig isoliert lebenden Stamm im Reservat Vale do Javari für Aufsehen. Mindestens zehn Indígenas sollen brutal von Goldgräbern ermordet, ihre Körper zerstückelt und in einen Fluss geworfen worden sein.
Die Täter sollen danach mit der Tat geprahlt und von Selbstverteidigung gegen die sich mit Pfeil und Bogen wehrenden Indianer gesprochen haben. Das Reservat an der Grenze zu Peru ist größer als Österreich, hier leben rund 2000 Indios ohne Kontakt zur Außenwelt in geschätzt 14 Stämmen.
Allein die Größe macht eine Kontrolle schwer. Zum Schutz der Indígenas gibt es in Brasilien seit rund 50 Jahren die Schutzbehörde Funai, die dem Justizministerium zugeordnet ist und die ihre Rechte garantieren soll. Eigentlich sollten alle rund 1200 indigenen Stämme und ihre Lebensräume längst unter Schutz gestellt sein, aber erst bei 453 ist das bisher geschehen.

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