Die Türkei – unser problematischer Partner. Eine Veranstaltung des Friedenszentrums
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- Veröffentlicht: Montag, 20. Juni 2016 09:32
- Geschrieben von Ingeborg Gerlach
Der Politologe Orhan Sat, der am 16. Juni 2016 in der Reihe „Wege zu einer Kultur des Friedens“ referierte, betonte, dass die heutige AKP –Regierung in der Tradition der jungtürkischen Bewegung vom Anfang des 20. Jahrhunderts stehe. Diese erstrebte statt einer West-Orientierung des Osmanischen Reiches eine Expansion nach Osten. Die Türkei solle die Vormacht aller turkstämmigen Völker werden. Dem Ziel eines solchen Imperiums standen nur die christlichen Armenier im Wege, die daher eliminiert werden sollten.
Nach der Auflösung des Osmanischen Reiches nach dem (verlorenen) Ersten Weltkrieg übernahm Cemal Pascha die jungtürkische Programmatik. Die neu gegründete Türkische Republik bekämpfte die nach Autonomie strebenden Kurden als Separatisten (was heute noch gilt).
Auch für die Regierung Erdogan ist das Ziel eine Türkei als Hegemonialmacht im Vorderen Orient. Während aber Cemal Pascha den säkularen Staat propagiert hatte, strebt Erdogan nach Re-Islamisierung, und zwar unter Beschränkung auf den sunnitischen Islam. Der Aufstieg der AKP wurde von Saudi-Arabien gefördert, welches neue Moscheen bezahlte, sowie von den USA wegen ihrer neoliberalen Ausrichtung.
Im Zuge des „Arabischen Frühlings“ 2011 wurde der Türkei vom Westen eine Vorkämpferrolle gegen Assad zugedacht. Doch der religiöse Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten (zu denen die syrischen Alawiten gehören) ist nicht ausschlaggebend. Es ging um einen Regimewechsel und damit eine Schwächung des mit Assad verbündeten Iran. .
Während der Westen angesichts des russischen Widerstands (der primär den Erhalt des russischen Militärstützpunkts im Mittelmeer bei Latakia betraf) seine ursprüngliche Zielsetzung aufgegeben hat, hält die Türkei an ihr fest. Sie öffnete ihre Grenzen für militärischen Nachschub gegen Assad und begünstigte so die Ausbreitung von Milizen wie IS, Al-Kaida und Al-Nusrah-Front. Als die NATO-Verbündeten deshalb die Türkei unter Druck setzten, ließ diese 2015 ihre Westgrenzen für syrische Flüchtlinge öffnen, die nun in Scharen nach Europa strömten
Der Westen ging auf die Erpressungspolitik des türkischen Regimes ein und beschloss einen Deal mit der Türkei, der neben Milliardenbeträgen auch Visafreiheit vorsieht. Dass die Regierung Erdogan sich in ein autoritäres Regime verwandelt hatte, das zudem den Konflikt mit den Kurden wieder aufnahm, scheint im Westen niemand zu stören.
Erdogan sitzt, trotz wirtschaftlicher Einbußen, fest im Sattel. 70 Prozent der türkischen Bevölkerung sind konservativ-nationalistisch und begrüßen die Re-Islamisierung. Die Türkei fühlt sich auch als Schutzmacht der Türken im Ausland und leitet daraus das Recht ab, über dir Entscheidungen der türkischstämmigen deutschen Abgeordneten zu entscheiden.
Positiv bewertete der Referent nur die Entwicklung in den kurdischen Kantonen entlang der türkisch-syrischen Grenze (Rojava), die demokratische Tendenzen aufweisen. Ihnen gehöre die Zukunft.