Auschwitz - Ein Besuch in der deutschen Geschichte
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- Veröffentlicht: Samstag, 17. Oktober 2015 00:25
- Geschrieben von Marlis Zoschke
Einfahrtgebäude in das KZ Auschwitz-Birkenau. Ansicht von innen.
Die Braunschweiger Bürgerin Marlis Zoschke befasst sich immer mal wieder mit deutscher Geschichte. Auch in diesem Spätsommer wieder. Sie besuchte das Konzentrationslager Auschwitz, den Ort des Bösen. Frau Zoschke, eine Ur-Braunschweigerin, bot dem Braunschweig-Spiegel einen Bericht von der schwierigen Reise an. Der B-S bedankt sich.
Ein Anlass über Auschwitz zu berichten ist immer gegeben. Doch zum 50. Jahrestag der Urteilsverkündung im Frankfurter Auschwitzprozess, und dem derzeitigen intensiven Erinnern an den Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer, der den Prozess vorbereitete, ist ein besonderer Anlass gegeben, zumal die faschistoiden und rechten terroristischen Umtriebe in Deutschland ausreichend Anlass zur Sorge geben. (um)
"Erinnern tut weh. Es löst Entsetzen aus und lässt uns verstummen und aufschreien zugleich. Sich den bedrückendsten Wahrheiten unserer Geschichte zu stellen, ist unverzichtbar. Dazu verpflichten uns die Opfer, ihre Angehörigen und Nachkommen. Aber es ist auch für uns selbst notwendig, damit wir den unauflöslichen Zusammenhang von Erinnerungs- und Zukunftsfähigkeit begreifen.
Wir wissen aber auch um die erneuten Gefahren von Nationalismus, Antisemitismus, Rassenhass und Fundamentalismus bei uns in Deutschland und anderswo - Tag für Tag. Und wir wissen, wie sehr politische Wachsamkeit gefordert ist." Prof. Rita Süßmuth
Auschwitz
Polen kann sicher verzeihen, aber niemals vergessen
Von Krakau aus braucht man eine gute Stunde Fahrzeit, um nach Auschwitz zu gelangen. Während der Fahrt gehen einem viele Gedanken durch den Kopf. Wie werden wir wohl von der polnischen Führung des Lagers als Deutsche empfangen? Denn in Krakau kann man sich in den Buchläden überzeugen, dass Polen nicht vergessen will. Es gibt dort umfangreiche Literatur über das Dritte Reich, Himmler, Hitler, und im Schaufenster eines Buchladens liegen viele alte Zeitungen aus, sogar der Völkische Beobachter. Es gibt Polen, die können und wollen das Wort Auschwitz nicht aussprechen, oder sie haben erhebliche Probleme damit.
Das Deportationsgebiet erstreckte sich über ganz Europa
Auschwitz wurde 1940 zur Vernichtung polnischer politischer Häftlinge gegründet. Später brachten die Nazis Häftlinge aus ganz Europa hierher, von Helsinki bis Rhodos. Auschwitz wurde zum größten deutschen Lager und wurde ab 1942 zum Ort der Massenvernichtung europäischer Juden. Es ist das Symbol für Völkermord und Terror.
Täglich kommen viele Busse verschiedener Nationen nach Auschwitz. Es sind sehr viele junge Leute dabei. Am Empfangsgebäude muss man durch Kontrollen wie am Flughafen gehen.
Auf den ersten Blick sieht alles ziemlich normal aus, man übersieht den Stacheldrahtzaun. Rote zweigeschossige Backsteinbauten, die einen ordentlichen Eindruck machen und recht breite saubere Wege. Wie in einer normalen Siedlung. Man kann sich vorstellen, dass es bei den Nazis ähnlich aussah, denn auf Ordnung wurde ja immer großen Wert gelegt. Doch dann steht man vor dem Eingangstor und liest: „Arbeit macht frei.“
Auschwitz war das Stammlager, und es wurden dort 12.000 bis 20.000 Häftlinge untergebracht. Die „Hauptstraße“ wurde durch eine Mauer geteilt, so dass man leicht Männer und Frauen trennen konnte. Später wurde die Mauer entfernt.
In der ersten Zeit kamen nur polnische Gefangene nach Auschwitz, die als besonders gefährlich galten, wie gesellschaftliche und intellektuelle Führungspersonen, Vertreter der Intelligenz, Wissenschaftler und Mitglieder der Widerstandsbewegung. Mit der Zeit kamen dann auch Häftlinge aus anderen von den Nazis besetzten Ländern. Ab 1942 wurden dann auch jüdische Deportierte, die für die Massenvernichtung bestimmt waren, nach Auschwitz-Birkenau gebracht. Auschwitz-Birkenau wurde der Ort der Massenvernichtung der europäischen Juden. Gleich nach der Ankunft wurden die Deportierten an der Rampe selektiert, und ein großer Teil von ihnen wurde sofort zur Gaskammer geführt. Es wurden keine Ausnahmen gemacht, unabhängig vom Alter, Staatsangehörigkeit, Frauen, Kinder, sie wurden alle umgebracht. Einige Gefangene, polnischer Herkunft, lebten noch 8 bis 10 Wochen im Lager. Von Ihnen wurden Fotos nach der Registrierung angefertigt, wie man es vom Strafvollzug kennt.
Wenn man durch die vielen Blocks läuft, ist es schwer vorstellbar, was es hier an grausamen Szenen gegeben haben muss. Da gibt es 40.000 Paar Schuhe, die mal von Menschen getragen wurden, vom riesigen Männerschuh bis zum kleinen Babyschuh. Ein riesiger Berg abgeschnittener Haare, die inzwischen alle dieselbe Farbe angenommen haben, liegen hinter einer großen Glaswand. Auch Kleidungsstücke von Babys, die hier umgebracht wurden, sind ausgestellt. Für das, was man bei diesem Anblick empfindet, gibt es keine Worte. In einem anderen Raum lagen bergeweise Koffer, auf denen ein Name und Datum stehen. Ordnung musste eben sein, sei sie auch noch so grauenhaft - welch ein Hohn.
Giftgasbehälter mit Zyklon B
In einem anderen Raum befindet sich hinter einer Glaswand ein großer Berg leerer Dosen, in denen sich das berüchtigte Zyklon B befand. In Auschwitz allein verbrauchte man von 1942-1943 ca. 20.000 kg des Blausäure-Giftes.
Block 11 ist der Todesblock und war vom übrigen Lager isoliert. Er ist noch so erhalten, wie damals und es wird großen Wert darauf gelegt, dass es auch so bleibt.
Zwischen Block 10 und Block 11 fanden die Erschießungen an der Todeswand statt. Tausende Männer und Frauen, vor allem aus Polen, wurden hier hingerichtet. Hölzerne Verschläge befinden sich an den Fenstern von Block 10, und am Block 11 sind die Fenster zu 2/3 zugemauert, damit niemand zusehen konnte.
Im Keller befanden sich Zellen, in denen Häftlinge saßen, die im Verdacht standen, Fluchthilfe geleistet zu haben. Solche Häftlinge wurden zum Hungertod verurteilt. Es gab auch einen Strafbunker. Hier wurden auf 90 x 90 cm 4 Häftlinge eingesperrt. In der Dunkelzelle starben viele Häftlinge infolge Luftmangels.
Rasch war Auschwitz zu klein geworden. Darum wurde 1941 Auschwitz II-Birkenau errichtet, welches sich 3 km vom Stammlager entfernt befindet. Zu Anfang war es nur ein Frauenlager. 1944 wurden hier ca. 90.000 Häftlinge festgehalten. Das Gelände dieses Lagers betrug ca. 175 ha und war um ein Vielfaches größer als das Stammlager. Die 300 Baracken bestanden zum Teil aus Holz, viele waren auch gemauert.
Die hygienischen und sanitären Verhältnisse waren eine Katastrophe, und es fehlte an Wasser. Auf diesem Gelände wurden Krematorien und Gaskammern errichtet.
Birkenau war für die Mörder bequem, denn es gab ein direktes Bahngleis bis ins Lager. Teilweise waren die Häftlinge mehrere Tage in einem Eisenbahntransportwagen eingesperrt, 70 Personen ohne Frischluft, ohne Wasser zum Waschen und ohne Toiletten. Unvorstellbar!
Ein solcher restaurierter Eisenbahnwagen steht auf dem Gelände. Er wurde von einem ehemaligen Häftling gestiftet.
Ende 1944, als die Rote Armee sich näherte, begannen die Nazis ihre Verbrechen zu verwischen. Gebäude wurden in Brand gesetzt und Dokumente vernichtet. Die Häftlinge, die laufen konnten, wurden fortgeschickt ins Innere des Landes.
Der erste Lagerkommandant Rudolf Höß wurde 1947 auf dem Gelände von Auschwitz I hingerichtet, gleich neben der Gaskammer und dem Krematorium.
Auschwitz kann man nicht einfach abhaken, wie einen Besuch in einem Museum. Auschwitz wird ein ewiger Alptraum für Überlebende bleiben. Und für Deutsche? Auch ein Alptraum, verbunden mit der Mahnung für Recht und Gerechtigkeit einzustehen - auch offensiv. Aber es sollte sich auch niemand für die Verbrechen vorangegangener Generationen schuldig fühlen. Man kann den Polen aber zeigen, dass es das alte Deutschland nicht mehr gibt, und dass man einander vertrauen sollte, auch wenn es manchmal schwer fällt.
Alle Fotos Marlis Zoschke