A la Bonnaire: Ein gar nicht divenhafter Stargast zum Braunschweiger Filmfest

Foto: Marcus von Bucholz

„Ich will nicht lange reden. Es gibt sicher Raucher hier im Saal.“ Mit diesen Worten nahm Stargast Sandrine Bonnaire ihre „Europa“, den mit 20.000 Euro dotierten Filmpreis des Braunschweig International Film Festival entgegen. Die scheue Schöne mit dem „Lächeln einer frischen Meeresbrise“ (Laudator Horst Peter Koll, langjähriger Chefredakteur des Branchendienstes Filmdienst“) pfiff auf jede Etikette. Statt im kleinen Schwarzen enterte die 51-Jährige Französin in einem dunkelblauen, knöchellangen Mantelkleid die Bühne zur Auszeichnung im Staatstheater. Und auf der anschliessenden Feier im Louis-Spohr-Saal vergnügte sie sich statt mit Champagner mit Braunschweiger Flaschenbier auf dem Balkon. Sowas nannte man früher „Antistar“.

Can-Legende Irmin Schmidt. Foto: Marcus von Bucholz

Dabei hat Sandrine Bonnaire 66 Filme gedreht, mit Regie-Ikonen wie Claude Chabrol, Maurice Pialat, und vor allem Agnès Varda. „Varda hat mit das Schauspielen beigebracht“, bekannte sie freimütig vor der Preisverleihung im Künstlergespräch mit Daniel Kothenschulte. Nur ein Meter vor ihrem Publikum auf einer kleinen Sesselgarnitur im C1 Cinema, sparte sie auch nicht mit Kritik aus ihrem künstlerischen Leben: „Ich war noch jung, als ich mit Depardieu drehte, und er war schrecklich zu mir. Noch schlimmer zu Sophie Marceau.“ Nach ihren Anfangserfolgen als 16- und 17-Jährige (zweimal mit dem 'César' ausgezeichnet) wurde sie darauf festgelegt, sich in Filmen nackt zu zeigen. „Und irgendwann war ich's echt leid.“

Im Probensaal des Großen Hauses gab Irmin Schmidt sein Konzert. Foto: Marcus von Bucholz

In ihren eigenen Regiearbeiten als reife Frau (leider lief ausgerechnet parallel zur Preisverleihung ihr Drehbuch-Erstlingswerk „Maddened by his Absence“ - ein Fehler der Filmfest-Organisation) reflektiert sie heutige Frauenrollen und -bilder, lebt die Lust an der Manipulation aus. Den Vorwurf, als Kindfrau nur Objekt gewesen zu sein, kontert sie mit dem Satz: „Wenn du nicht zu doof bist, das Drehbuch zu verstehen, kannst du die Rolle auch spielen.“

Mit ihrem weiblichen Selbstbewusstsein führt Bonnaire die Riege der diesjährigen „BIFF“-PreisträgerInnen an, die in der Mehrzahl weiblich waren. Lisa Brühlmann aus der Schweiz erhielt den „Kinema“ für ihr Jugenddrama „Blue my Mind“, entgegengenommen von der phantastischen jungen Hauptdarstellerin Zoe Pastelle Holthuizen. Das Publikum war gerührt, als die indische Regisseurin Rohana Gera über den „Heinrich“ für ihren Film „Die Schneiderin der Träume“ vor Glück weinte.

Sandrine Bonnaire während des Filmgesprächs im C1 Cinema. Foto: Marcus von Bucholz

Neu im diesjährigen Preisreigen waren u.a. die Verleihung des „Green Horizons Award“ und des „Queer Award“. Letzteren überreichte Niedersachsen Sozialministerin Dr. Carola Reimann an Olga Chajdas für ihr Drama „Nina“, in dem ein ungleiches Paar auf die Leihmutter Magda trifft – und sich plötzlich eine schwierige Liebe mit komplizierten Verwicklungen ergibt. „Ich bin froh, dass mein Ministerium solche Filme mit einem zeitgemässen Einblick in die queere Kultur auch in Zukunft fördern wird“, so die Ministerin.

Preisträgerin Zoe Pastelle Holthuizen im Interview mit Moderatorin Anja Backhaus. Foto: Marcus von Bucholz

Das von vielen Filmkonzerten in Zusammenarbeit mit dem Staatsorchester Braunschweig geprägte Festival hielt für „Can“-Komponist und Bandleader Irmin Schmidt den Preis „Weißer Löwe“ bereit. Der 81-Jährige Stockhausen-Schüler verriet in seiner Dankrede das Geheimnis für eine gelungene Bandgründung: „Ich brauchte einen Rockgitarristen und einen Jazzschlagzeuger für meine Kompisitionen. Und dann galt nur, ohne ein 'oben' und 'unten' zusammen zu spielen.“ Das gelang ihm meisterhaft am vergangenen Mittwoch mit den Musikern des Braunschweiger Staatsorchesters auf der Probebühne – sehr zur Freude der glücklichen ZuhörerInnen, die eine Karte ergattert hatten.

Festivaldirektor Michael P. Aust bei der Preisverleihung mit seinen Stargästen Sandrine Bonnaire und Irmin Schmidt. Foto: Marcus von Bucholz

Filmfest-Direktor Michael P. Aust freute sich über die hohe Anteilnahme der Braunschweiger an der fünften Filmfest-Ausgabe unter seiner Leitung. „Wir hatten eine tolle Unterstützung und Vernetzung mit dem Staatstheater“ freute sich der Macher des mittlerweile viertgrößten Film-Events in Deutschand. Eine Gruppe von Film-Enthusiasten lobte in diesem Jahr erstmals einen eigenen Preis aus. Und Szenegastronom Wolfgang „Elvis“ Haberkamm („Vier Linden“) stiftete einen Preis für die Filmreihe „Heimspiel“, die in diesem Jahr der Streifen „My favorite Fabric“ Gaja Jiji erhielt.

Gastronom Wolfgang „Elvis“ Haberkamm von den "Vier Linden" Foto: Marcus von Bucholz

Das Braunschweig International Film Festival konnte in diesem Jahr mit seinen thematischen Schwerpunkten alle Erwartungen des Publikums erfüllen und hat sich im Zusammenspiel der Institutionen Kino, Theater, lokale Veranstaltungsräume und Städtisches Museum (dort fand das Abschlusskonzert „Im Westen nichts Neues“ statt) zu einem kulturellen Event der Stadt entwickelt.

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